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  • angelamarchenko

Unser Interview mit Kai Ortel, Autor und Redakteur der Fährschiff-Branche

Aktualisiert: 29. Apr. 2022


Diese Woche stellen wir euch eine DER Personen vor, an der man nicht vorbeikommt, wenn man sich mit der Schifffahrt beschäftigt: Kai Ortel. Wir freuen uns, ihn euch in unserem Interview vorzustellen.



Wie bist du als Berliner (wo es ja eher ein paar Seen gibt) in der Welt der Hochseeschiffahrt gelandet?


Das ist der Teilung Berlins während des Kalten Krieges geschuldet. Meine Eltern sind in den 1980er Jahren im Sommer immer für drei Wochen mit meinem Bruder und mir in den Urlaub nach Dänemark gefahren. Das war damals immer das Highlight des ganzen Jahres, auf das wir uns schon Wochen vorher gefreut haben. In Dänemark waren dann Häfen wie Esbjerg, Frederikshavn oder Rønne nie weit von unserem Ferienhaus entfernt. Dort haben die Fähren nach England, Norwegen und Schweden offenbar einen großen Eindruck auf den kleinen Kai gemacht. Damals habe ich begonnen, Schiffspostkarten und -fahrpläne zu sammeln, habe meinen Vater Löcher in den Bauch gefragt und durfte irgendwann auch mit der Kamera meiner Eltern die ersten eigenen Schiffsfotos machen. Da war es um mich geschehen. Später wurde aus der Neugier ein Hobby und aus dem Hobby schließlich ein Nebenberuf als Reisejournalist und Buchautor.



Was ist für dich das Besondere an Fährschiffen?


Im Gegensatz zu Autos, Eisenbahnzügen und Flugzeugen gibt es jedes Schiff nur ein einziges Mal. Jedes Schiff hat damit seine eigene Geschichte, die man wie die von Personen mitunter vom Stapellauf bis zur Verschrottung mitverfolgt. Außerdem nehmen Passagierschiffe wie Fähren und Kreuzfahrer durch ihre Route, ihre Inneneinrichtung, ihre technischen Eigenschaften, ihre Passagiere und Besatzungen einen eigenen Charakter an, auch damit sind sie Personen nicht unähnlich. Und wenn die Geschichte eines Schiffes dann auch noch durch Reisen oder persönliche Erlebnisse und Erinnerungen mit der eigenen verwoben ist, entwickelt man zu bestimmten Schiffen eine ganz besondere Beziehung. Da könnte ich Dutzende Beispiele nennen, aber das würde hier vielleicht zu weit führen.



Wo siehst du Gemeinsamkeiten bei der Reise auf einem Fährschiff und einem Kreuzfahrtschiff?


Jeder, der sich für einen Aufenthalt auf einem Schiff entscheidet, zieht das entschleunigte Reisen auf dem Wasser dem vielleicht schnelleren oder billigeren Weg zu Lande oder in der Luft vor. Auf Fähren wie auf Kreuzfahrtschiffen trifft man also auf Gleichgesinnte, denen es mehr Spaß macht, in aller Ruhe Zeit auf dem Wasser zu verbringen als über den Wolken, in einem Tunnel oder auf der Autobahn seinem Reiseziel entgegenzuhetzen. Außerdem verschwimmen zwischen Fähren und Kreuzfahrern schon mal die Grenzen. Eine Kurzreise auf langen Nachtlinien wie Kiel – Oslo oder Stockholm – Helsinki kommt einer Mini-Kreuzfahrt schon sehr nahe, während viele Kreuzfahrten inzwischen turnusmäßig immer die gleichen Häfen ansteuern und nicht mehr im herkömmlichen Sinne „kreuzen“. Daher auch meine Leidenschaft für Fähren und Kreuzfahrtschiffe gleichermaßen.


Gibt es etwas, was dir auf Fähren besser gefällt als auf Kreuzfahrtschiffen?


Auf Fähren geht es trotz aller Trendwenden in der internationalen Kreuzfahrt immer noch ungezwungener zu. Für eine Fährreise muss man sich nicht umziehen, muss nicht zu bestimmten Zeiten an seinem Tisch im Restaurant erscheinen und muss sich auch kein Unterhaltungs- oder Bordprogramm aufzwingen lassen. Außerdem laufen viele Fähren Häfen und Inseln an, die kein Kreuzfahrtschiff jemals besuchen wird. Wer die Welt (oder auch nur die Dänische Südsee) entdecken will, kommt mit der Fähre also wesentlich weiter als mit dem Kreuzfahrtschiff. Und ist überdies auch meistens nicht auf bestimmte Termine und Abfahrten festgelegt.



Welche Fährverbindung und welches Fährschiff haben dich am meisten beeindruckt?


Unter den Fährverbindungen sticht sicherlich die Linie von Hirtshals in Norddänemark nach Seyðisfjörður auf Island heraus. Wenn nach drei Tagen über die oftmals raue Nordsee und den noch raueren Nordatlantik am Horizont endlich die schneebedeckten Berge Islands auftauchen, fühlt man sich wie in eine andere Welt versetzt und wähnt sich tatsächlich ein wenig auf den Spuren der Wikinger. Dabei ist die NORRÖNA, welche die Linie bedient, Frachtschiff, Fähre und Kreuzfahrer in einem – eine einzigartige Kombination.

Bei den Fährschiffen selber fällt es schwer, ein einziges hervorzuheben. Beeindruckend im engeren Sinne war sicherlich seinerzeit die FINNJET, wenn sie auf ihre imposante Höchstgeschwindigkeit von 30 Knoten beschleunigte. Architektonisch beeindruckend wiederum sind Schiffe wie SILJA SERENADE und COLOR FANTASY, die mit ihren Innenpromenaden einer ganzen Generation moderner Mega-Kreuzfahrtschiffe vorgegriffen haben. Eindrucksvoll ist aber auch immer wieder der Fährverkehr in der griechischen Inselwelt, wo oftmals kleine und alte Schiffe bei Wind und Wetter abgelegene Eilande anlaufen, um dort binnen Minuten eine Handvoll Einheimische und Autos an Bord zu nehmen und gleich darauf zur nächsten Insel weiterzufahren. Dort erfüllen die Schiffe eine wichtige Transport- und Versorgungsfunktion, deren Bedeutung man gar nicht hoch genug einschätzen kann.



Gibt es tatsächlich eine Fährverbindung, die dir noch fehlt?


Ja, viel zu viele! Außerhalb Europas bin ich viel zu selten unterwegs, dabei hat vor allem die kanadische, aber auch die südamerikanische oder die indonesische bzw. philippinische Fährschifffahrt eine Menge interessanter Linien und Schiffe zu bieten. Hier in Europa sind trotz all meiner Bemühungen immer noch ein paar griechische Inseln weiße Flecken auf meiner Reise-Landkarte. Aber auch die Gewässer vor der eigenen Haustür, also das deutsche und holländische Wattenmeer mit seinen kleinen Inselfähren, habe ich schon viel zu lange vernachlässigt.



Was machst du als erstes, wenn du an Bord eines Schiffes gehst?


Auf Kreuzfahrten habe ich ein Ritual, zuerst immer die Kabine zu fotografieren, weil sie gerade auf Reisen mit der Familie nie wieder so schön sauber, ordentlich und aufgeräumt ist wie beim Betreten. Meine Kinder sperre ich dann immer für zwei Minuten ins Bad, die kennen das schon und machen das mittlerweile schon mehr oder weniger freiwillig, wenn auch inzwischen augenrollend, mit.

Auf Fährschiffen gehe ich nach dem Boarding meistens erst einmal an Deck, um zu fotografieren, um zu gucken, wie der Hafen aussieht und welche anderen Schiffe in der Nähe zu sehen sind. Auch den Ladevorgang beobachte ich meistens eine Weile, das Schiffsinnere kommt erst später dran, wenn es draußen nicht mehr so viel zu sehen gibt.



Kai Ortel, Jahrgang 1974, ist ein profunder Kenner der Schifffahrts- sowie der Berliner Geschichte. Der in Berlin-Spandau aufgewachsene und seit 2000 in Berlin-Reinickendorf lebende Buchhändler war 1994 Mitbegründer des Deutschen Fährschifffahrtsvereins e. V. und arbeitet als freier Redakteur u. a. für das Reisemagazin „An Bord“ und für die Fachzeitschriften „ShipPax“ und „RoPax“. Sein erstes Buch „Fährschifffahrt der Welt“, verfasst zusammen mit Horst-Dieter Foerster, erschien 1998. Zuletzt veröffentlicht hat er die Bücher „DFDS – Linking Europe“ (Ferry Publications, 2019) und „Englandfähren“ (Oceanum Verlag, 2021). 2022 erscheint sein neues Buch „Der Flughafen Tegel – die Geschichte einer Legende in Bildern“. Die Bücher sind im Buchhandel erhältlich bzw. bestellbar.

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